Auf Grund meines fast biblischen Alters habe ich noch eine Reiselogistik in Erinnerung, die angesichts der heutigen Möglichkeit als vorsintflutlich zu bezeichnen ist. Gestützt auf Landkarten, bevorzugt die legendären Michelin-Karten, bewegte man sich durch unbekannte Gegenden. Übernachtungsmöglichkeiten musste man mit langem Vorlauf schriftlich abklären, oder in der Dämmerung nach „Zimmer frei“, „Chambre d’hôtes“ oder „Bed and breakfast“ Ausschau halten. Das war nicht immer von Erfolg geprägt. Ab 23:00 kam es auch mal zu Meinungsverschiedenheiten in der Reisegruppe. Gelegentlich hat man sogar an einer Telefonzelle angehalten, um irgendwem mitzuteilen, wann denn mit der Ankunft zu rechnen ist.
2014 sieht das natürlich alles anders aus und in Brasilien nochmal ein wenig anders als in deutschen Landen. Die heutige, weltweite Erwartungshaltung lautet: Grundsätzliche Verfügbarkeit des Internet, wo immer man sich gerade befindet, mit tauglicher Bandbreite und Flatrate zu Kosten, die nicht ins Gewicht fallen. Der digital native ist über jeder Einschränkung dieses Forderungskataloges genervt.
Selbstverständlich hat jeder ein Smartphone in der Tasche.
Die Netzverfügbarkeit 2G oder 3G ist generell gut in Brasilien. In den Städten ohnehin, aber auch auf dem Land, im tiefsten Bahia, ganz ordentlich. Ich habe nur wenige Situationen mit „Kein Netz“ erlebt. Ich wage mal die These: Die Netzabdeckung ist besser als in Deutschland.
WiFi gibt es in jeder Kneipe und in fast jedem Privathaushalt. Bandbreiten in der Regel zwischen 2MBit und 10 MBit. Außer im Best Western Hotel in Natal waren es immer passwort-gesicherte WiFis. Pragmatischer Höhepunkt: Das Passwort auf dem Deckblatt der Speise-karte. Weitere Erfahrung: Auf Anfrage wird einem das Passwort in Großbuchstaben aufgeschrieben, man muss es aber in Kleinbuchstaben eintippen.
Wenn kein WiFi, dann wird der Telekom WeekPass strapaziert. Das Angebot der Telekom für 14,95€ inkl. 150MB Datenvolumen ist akzeptabel. Wünschenswert wäre natürlich mehr Datenvolumen und billiger. Ich habe 4 oder 5 Weekpässe verbraten, aber meine Familienmitglieder haben auch meinen Personal HotSpot ordentlich benutzt und somit mit an der Datenrate geknabbert. Standardspruch: „Kannst du mal deinen Hotspot anschalten?“.
Eigentlich hatten wir noch einen Mobile Access Point zur Verfügung, den meine Kinder in Canada und den USA genutzt hatten, aber in Brasilien haben wir uns nicht die Mühe gemacht, nach einer günstigen SIM-Card zu recherchieren. Die Erfahrungen in Canada und USA waren auch eher ernüchternd. 3G gibt‘s dort selten, LTE schon gar nicht. So jedenfalls der Erfahrungsbericht meiner Kinder.
Nach der nüchternen Bestandsaufnahme nun die Use Cases.
- Wie weit werden wir fahren? Wo übernachten wir heute?
Mit dem Smartphone als Beifahrer in booking.com, 5 Minuten recherchiert, Bewer-tungen durchgelesen, Zimmer gebucht. Fertig ist die Laube bzw. das Nachtlager. Hat immer funktioniert. Die Verlinkung zu den Anfahrtsskizzen im Web ist nicht immer top, aber das liegt an der Programmierung der Web Sites.
- Wo geht´s lang?
Smartphone an, Ortung an, Route eingeben und dann immer schön den Anweisungen des Beifahrers folgen. Wenn man sich das vor der Tagesreise überlegt hat und per WiFi die Karten heruntergeladen hat, ist das hochkomfortabel. Zur Not muss es auch ohne Karten gehen. Das Smartphone wird bei der Prozedur allerdings recht warm und der Akku leert sich. Deshalb Lademöglichkeit im Auto bereithalten. Nebenbei gesagt, Google Maps hat Schwächen, wenn die Route nicht komplett asphaltiert ist, was in Brasilien aber nicht ungewöhnlich ist. Das Garmin-Navi war da besser.
- Wo und wann treffen wir Luiza?
Sie ist irgendwo in Belo Horizonte unterwegs. Wir sind in der Anfahrt zum Localiza Rental Car Return im gleichen Ort. Natürlich kann man anrufen, aber das ist teuer. Also per Whats App kommunizieren. Klappt bestens.
- Wer soll noch eine Postkarte bekommen?
Selfie schießen. In die Touchnote-App gehen. Bildtitel tippen, ein paar salbungsvolle Worte dazu (das kann am längsten dauern, wenn das Gehirn nichts Salbungsvolles hergibt), Adresse tippen. Ab die Post für ca. 1,50€ die Karte. Schöner ist es vielleicht, das Selfie durch ein taugliches Photo zu ersetzen. Selfies von verschwitzten, ungeduschten Urlaubern sind nicht immer schön.
- Wie erklär ich’s meinen Gästen?
Der Pousada-Besitzer in Lavras Novas (tiefstes Minas Gerais) macht es am Bildschirm per Google Translate. Er spricht nur Portugiesisch, wir leider nicht. Er tippt eine Willkommensnachricht in Google Translate und zeigt uns stolz die Übersetzung am Bildschirm. Alles klar, alles kapiert, alle lachen. Das Prozedere wiederholt sich, um uns am nächsten Tag auf Pool und Sauna hinzuweisen. Nur die Frage, wo denn seine Schwester in Deutschland lebt, kann er in Facebook nicht ermitteln.
Ob dadurch Reisen weniger spannend ist und diese Spannung eigentlich mit dazu gehören sollte, sei mal dahin gestellt. Vielleicht ist es auch gut so, weil wir uns dann mehr auf die Menschen, die Landschaft, Essen und Trinken und andere analoge Sinnesreize kümmern können. Es sei denn, wir sind die ganze Zeit mit dem Smartphone beschäftigt, um einen der Use Cases abzuarbeiten.