In den letzten Wochen lese ich vermehrt die Postings von Leuten, die sich über die zunehmende Werbung im Web im Allgemeinen und in Social Networks im Besonderen mokieren. Leute, von welcher Welt träumt ihr? Vom Altruisten Mark Zuckerberg und seiner altruistischen Investorenschar, die der ganzen Welt etwas Gutes tun wollen, aber eigentlich sabbernd vor den Börsenkursen sitzen und das ganz große Geld mit Facebook machen wollen. Von einer Truppe selbstloser Journalisten, die unter dem Titel „Spiegel-Online“ die Welt informieren will, aber leider jeden freien Millimeter auf ihrer Website als Werbefalle nutzt. Von der Inkarnation des Guten, den Herren Brin und Page, die aber das Klarnamendiktat erfunden haben, um eine bessere Verwertbarkeit ihres Adressmaterials zu erzielen. Auch die Selbstlosigkeit, mit der Apple, Google und Microsoft Cloud-Space bereitstellen, rührt mich zu Tränen.
Ihr Träumer seid wie Fische, die sich über´s Anfüttern freuen und nicht glauben, dass danach die Angel oder der Kecher kommt.
Besonders wundert mich, wenn diese Beschwerden von pathologischen Surfern kommen, die auf jeden Like-Button hauen, der zu erhaschen ist. Patsch, gefällt mir, patsch, das auch, patsch, und noch einen getroffen. Anschließend wundern sie sich darüber, dass ihnen auf anderen Websites passgenaue Werbung angeboten wird. Es sind die gleichen Leute, die im Bahnhof brav eine Postkarte mit ihren Adressdaten ausfüllen, und diese durch die einen Schlitz breit geöffnete Scheibe in den tollen Porsche werfen, der angeblich verlost wird. Kurze Nachdenken und man spart sich die Postkarte. Über einen persönlichen Kontakt kenne ich die Praxis in einem großen Kaufhaus bei solchen Verlosungen. Offiziell soll ein Mountain-Bike im Wert von 2.500 € verlost werden. Es steht seit Wochen am Eingang. Jeder darf es schon mal anfassen. Nachdem genug Adresskarten gesammelt sind, fragt der Chef auf der Betriebsversammlung: „ Will einer das abgegrabbelte Mountain-Bike für `nen Tausender haben?“ Verlost wird gar nix.
Das mit dem Liken kann ich noch verstehen, wenn man dadurch seine grundsätzliche Sympathie für einen Mitmenschen ausdrücken will, oder, was selten vorkommt, mal was wirklich Gutes in einem der Social Networks sieht. Aber warum sollte ich denn der Seite von Mercedes, Zalando oder Amazon diesen Ritterschlag verpassen? Als ob die nicht ohne diese Wertschätzung klar kämen. Was will jemand damit sagen, wenn er bei Mercedes oder BMW auf Like patscht? „Hätte ich auch gern, kann ich mir aber nicht leisten.“ Oder: „Guckt alle, so einen hab ich auch.“ Bei Amazon find ich´s noch sinnloser, weil es nicht mal differenzierend ist.
Nebenbei gesagt: Bilder von Katzen, Hunden und Essen oder Essensresten finde ich nicht prämierenswert im Social Network. Freunde, die da auf mein Like warten, warten auch vergebens. Das müsste schon in einem sensationellen Context stehen, damit ich da das Patschehändchen zücken würde.
Ich muss allerdings akzeptieren, dass es auch Menschen gibt, die die Welt mit anderen Augen sehen. Einem Kollegen hab ich kürzlich eine Adblock-Installation angeboten. Er ist auch so ein Spiegel-Online-Junkie. Er wollte aber kein Adblock. „Ich will die bunte Werbung rundrum haben.“ Na denn, so unterschiedlich sind Menschen.
Abzuwarten bleibt, ab wann Unternehmen ihre interne Connections- oder SharePoint-Installation mit Werbung kofinanzieren. Ich denke, bei Unternehmen mit mehr als 100.000 Mitarbeitern würde mancher Konsumgüterhersteller einen sechsstelligen Betrag springen lassen. So ein IBM Connections bei der Continental AG oder bei Bosch mit Zalando in der Sidebar, das hätte doch was.