(Frei)schwimmen in der Krise

Das hätten wir uns vor einem Jahr noch nicht träumen lassen, dass diese Wirtschaftskrise zum beherrschenden Thema unseres Alltags wird. Nur Amokläufe können das Thema noch von den Titelseiten der Tagespresse verdrängen. Die Politiker scheinen mir nach wie vor hoffnungslos überfordert. Populismus steht klar im Vordergrund. Hier mal für eine Wirtschaftsspritze, dort mal für Steuersenkungen schreien. Das Wort Abwrackprämie wird mit Sicherheit zum Wort es Jahres 2009.

Hektische Reisen nach Detroit, den nächsten Wahlkampf immer klar vor Augen. Verstaatlichung von Banken, aber bitte erst nach Zahlung der Managergehälter. Kürzlich stand in der Hannoverschen Allgemeinen die Überschrift: „Wirbel um Mastanlage“. Auf den ersten Blick dachte ich, dass die HAZ sich zu einem journalistischen Stil, der eher der TAZ zuzuordnen ist, aufgeschwungen  hat, aber es ging nicht um eine Bank oder die Vorstandsetage eines Industrieunternehmens sondern tatsächlich um eine Schweinemastanlage in der Nähe eines Gästehauses der Bundesregierung. Viele unserer Politiker halte ich durchaus für ausreichend intelligent, um gewisse kausale Zusammenhänge der Finanzwirtschaft zu durchschauen. Aber ihre Verstrickung im Lobbyismus ist so umfangreich, dass den meisten gar kein sinnvolles Handeln möglich ist. So wird die verfügbare Intelligenz zur Bedienung der Seilschaften und der Absicherung des eigenen Wahlkampfes genutzt. Ich habe das starke Gefühl, dass es da noch ein paar goldene Kälber zu schlachten gibt. Barack „Yes we can!“ Obama stellt einen Hoffnungsschimmer dar, aber Angie und Herr Bruni sind noch sehr Lobbyismus-konform.

Auf der CeBIT versuchten Messe AG und Aussteller verhaltenen Optimismus auszustrahlen. Was soll man auch anderes tun. Um die berühmten Auftragsbücher, von denen ich nach wie vor keines zu Gesicht bekommen habe, die aber offenbar jeden Abend zum Addieren bei der Messe AG abgegeben werden, steht es angeblich gar nicht so schlecht. Ich hatte die Ehre an einem Meeting im IBM-Pavillon auf dem Dach der inzwischen nicht mehr genutzten Halle 1 teilzunehmen. Dort herrschen apokalyptische Zustände, allerdings schon seit einigen Jahren. Man schlittert auf vermoosten Pfaden zwischen den dahingammelnden, teilweise abgerissenen Pavillons zum letzten belebten Bau, dem IBM Pavillon. Es ist mir unverständlich, dass die früheren Inhaber nicht wenigstens ihre Firmenlogos aus den verfallenden Hütten entfernt haben. Hollywood-Regisseure, die einen Wirtschaftskrimi drehen wollen, sollten dort ein ideales Gelände vorfinden.

Natürlich geht die Krise auch an unseren Auftragsbüchern nicht spurlos vorbei. Einzelne Unternehmen bemühen sich nun „unter Tränen“ neue Tagessätze mit uns zu verhandeln. Ein Gebot der Zeit, wie man uns sagt. Am gleichen Tag ist in der Zeitung zu lesen, dass ein geschasster Vorstand eine Abfindung  erhalten hat, mit der man unsere komplette Firma über Jahre alimentieren könnte und ich bin sicher, unsere Wertschöpfung würde die Abfindung um ein vielfaches übersteigen. Das demotiviert natürlich ein bisschen bei der Verhandlung um Tagessätze.

Achtung: Nun kommt – gerade noch rechtzeitig – wieder der Schwenk ins Positive! Ein Sonderheft der Computerwoche mit dem Titel „Neu booten – Denn Krise ist, was wir daraus machen“ hat mich sehr beeindruckt. Es enthält lesenswerte Beiträge über den konstruktiven Umgang mit der Krise. Vorbereitung auf die Zeit danach. Wer jetzt vieles richtig macht, kommt als Gewinner aus der Krise. Mein persönliches Krisenbarometer sind die Konsumentenscharen am Fußgängerüberweg zwischen dem hannöverschen Bahnhof und der glanzvollen Ernst-August-Galerie. Solange ich dort über mehrere Ampelphasen lang nicht abbiegen kann, weil die Massen mit den Plastiktüten das nicht zulassen, scheinen wir im Konsumklima kein echtes Problem zu haben. Das Geld ist offenbar nicht weg.

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