Die Amerikaner sind ja ein mutiges Volk. Sie kämpfen überall dort, wo andere zu feige sind, und erhalten damit für uns alle den Weltfrieden. Amerikanische Manager sind auch mutig. Sie sind auch geradlinig, zweifelsfrei, selbstsicher, einfach tough. Sie wissen was Sache ist und sie wissen wo es lang geht. Probleme könnten in der freien Rede entstehen, aber dafür haben sie den Teleprompter erfunden.
Auf der Lotusphere in Orlando wurde mal wieder Teleprompter-gestützte Choreografie vom Feinsten geboten. Bei den großen General Sessions will man sich der Gefahr der freien Rede nicht aussetzen. Man will keine Stoiberschen Ähs und Ohs (Äh ginge ja auch gar nicht, weil der Amerikaner keinen Umlaut hat). Man will keine spontane Kontaktaufnahme mit dem Publikum. Perfektion ist tausendmal mehr wert als Authentizität. Jedes Wort, und mag es noch so spontan klingen, ist exakt einstudiert. Jeder Schritt, jede Handbewegung, jede Bühnenposition ist geprobt.
Bei manchen Rednern fällt es nicht sofort auf. Aber der Text läuft auf Leinwänden, die von der Decke hängen, mit. Buchstabe für Buchstabe. Mit allen choreografischen Anweisungen. Das Publikum soll diese Texte nicht unbedingt sehen, aber als kleine Perfektionslücke sind die Leinwände etwas transparent und man sieht den Text in Spiegelschrift durch. Andere Redner machen den Eindruck als ob sie aus einem Erstklässler-Lesebuch vorlesen. „Hi, Ron. Welcome on stage. Please show us the new features of …“. Besonders beeindruckend fand ich den Auftritt von vier CIOs, denen jeweils ihre IBM success story auf dem Leib geschrieben war. Rauf auf die Bühne, am Kreuzchen hinstellen, Gedicht aufsagen, runter von der Bühne. Und wie wir uns freuen. Da kommt feeling rüber. Und glauben tun wir´s allemal, war ja schließlich fehlerfrei aufgesagt.
Ein Journalist, der etwas weltläufiger ist als ich, erklärte mir, das sei so wegen des Aktienrechts. Da müsse man höllisch aufpassen, dass man nichts Falsches sagt und deshalb werde das vorher exakt von den Marketing & Communications-Abteilungen und den Lawyern vorgetextet. Da geht halt ein bisschen was spontanes verloren. Naja, man kann im Big Business nicht alles haben.
Geradezu erfrischend sind dann Vorträge von Maureen Leland, der man aber offenbar inzwischen das Vorführen ihrer „puppy application“ untersagt hat. Sie lässt es sich aber nicht nehmen, mal ein taufrisch implementiertes Feature zu zeigen, dass sich leider nicht wie erwünscht verhält. Freie Rede inklusive, soweit ich das behind the scenes erkennen konnte. Vermutlich ist sie Irin und noch nicht voll domestiziert.
Um uns Lotusphere Teilnehmer im Griff zu behalten, hat man uns ganz einfach einen RFID-Chip auf den Badge geklebt. Die meisten Teilnehmer schlafen auch mit dem Badge um den Hals. Die stille Verleihung eines persönlichen RFID-Chips ist nicht jedem aufgefallen, stand aber angeblich irgendwo im Kleingedruckten der registration form. Vermutlich dient es nur der Veranstaltungsoptimierung. Ich habe kurzfristig überlegt, ob ich den Chip abkratzen und in der Toilette runterspülen soll. Vermutlich würde ich dann rechnerisch noch immer auf der Toilette sitzen. Ich hab mich aber nicht getraut, auf diese Weise einen Großalarm auszulösen.
Ansonsten gefällt mir Amerika Jahr um Jahr besser. Es ist so einfach, wenn man die Grundregeln kennt und sich immer daran hält. Wir Europäer sind zu kompliziert mit unserem Pluralismus und Individualismus, unserer antiquierten Dialektik und dem ewigen Diskutieren.