Analystenpredigt

Analysten spielen eine tragende Rolle in unserer Branche. Nicht jedem ist es vergönnt, jemals einen Analysten zu treffen. Wenn man dennoch persönlich den Auftritt eines Analysten erlebt, sollte man einen frischen Block zum Mitschreiben haben, mit Ersatzkugelschreibern für den Notfall gerüstet sein und hochkonzentriert zuhören.

8_2005

Kürzlich in Nürnberg gab es anlässlich der DNUG-Konferenz die Gelegenheit, einem Propheten der Burton Group zu lauschen. Sie kommen ja äußerlich unscheinbar daher, diese Analysten. Für deren Honorar müssten ein langer Zopf oder extravagante Klamotten eigentlich inklusive sein. Ehrfürchtig lauschte ein Großteil des Auditoriums dem Master. Unverständlicherweise verließen einige Konferenzteilnehmer den Raum. Ich vermute, sie waren intellektuell überfordert oder sie vermissten Bilder in der etwas trockenen Präsentation. Von einem der Raumflüchter vernahm ich den defätistischen Kommentar: „Chinesische Bauernweisheiten“. Als Höhepunkt der Ignoranz empfand ich das Verhalten eines in der Szene bekannten Geschäftsmannes. Er schloss pünktlich mit den ersten Worten des Analysten die Augenlider zu einem gepflegten Schläfchen und öffnete sie erst wieder mit dem Schlussapplaus. Wie soll da der nächste Börsengang gelingen, wenn man die wichtigsten Momente im Big Business verschläft? Zudem hätten im Foyer des Congress Centrums, das ein hobbymäßiger Architekturanalyst als „zweites Reichsparteitagsgebäude“ bezeichnete, bequeme Sofas zur Verfügung gestanden. Man liegt da allerdings etwas auf dem Präsentierteller.

Geballter kann man das Analystenerlebnis auf der Gartner-Konferenz in Cannes haben. Ein Freund berichtet mir seit mehreren Jahren über dieses Event. Im nächsten Jahr möchte ich nun endgültig auch dabei sein. Ein Haus mit Pool für die Erholung nach dem anstrengenden Tagesgeschäft ist geplant. Ich werde live von der Croisette berichten.

Die billige Analystenvariante bekommt man allmorgendlich im Zug geboten. Regelmäßig leide ich unter dieser „Krakelervariante“, die in den frühen Morgenstunden in den ICE steigen. Andere Reisende, die den unfreiwillig unterbrochenen Schlaf auf der Zugfahrt noch etwas verlängern wollen, haben keine Chance. Aufgeputscht vom ersten starken Kaffee müssen diese „Ich-bin-wach-Menschen“ lautstark ihre Lebensweisheiten im Großraumwagen darbieten. Junge Springer, die ihrem Chef mit schlauen Analysen ihr Engagement vermitteln müssen, andere Chefs, die ihren Sekretärinnen am Handy ein paar weltmännische Anweisungen erteilen müssen, Kleingruppen, in denen man sich gegenseitig lautstark die Zeitung vorliest, als ob der andere nicht selbst lesen könnte. Alternativ werden Notebooks mit der Windows-Fanfare in voller Lautstärke gebootet.

Nach einigen Wendeversuchen im harten Sitz der Deutschen Bahn denke ich dann resignierend: „Also gut, lass uns den Tag beginnen und die Analystenprognosen in Taten umsetzen!“ Denn genau das tun die Analysten selbst ja nicht.

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