Auf der Suche nach Verlässlichem

Am 11.9. eine Glosse zu schreiben, die am 11.10. erscheint, ist eine undankbare Aufgabe. Die Gedanken kreisen in ganz anderen Richtungen, denn heute ist ein Tag, an dem sogar Vielflieger lieber auf dem Boden bleiben. Und für den 11.10. haben vielleicht knapp 40 Millionen Bundesbürger bereits ihre Auswanderung geplant. Denn dieser Teil der deutschen Bevölkerung möchte dem möglichen Gesetz, nur noch Tischdecken, Bettwäsche und Unterwäsche in weiß-blauem Rautendesign zu benutzen, nicht Folge leisten.

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Die anderen 40 Millionen Einwohner – abzüglich derer, die bereits eine Lederhose besitzen – stehen vielleicht euphorisch Schlange nach Lederhosen. Diese werden seit der Bundestagswahl von vier Millionen ehemaligen Arbeitslosen auf bayrischen Almhütten in der Herbstsonne genäht.

Möglicherweise hat bis dahin George W. Bush die Relevanz von Tischdecken und Bettwäsche ohnehin gegen Null getrieben, so dass Deutschland ganz andere Probleme bewegt als textile Muster.

Im Oktober kann auch alles ganz anders sein: Der Kandidat ist dort, wo er hinpasst, und Bush sucht nach wie vor Mitspieler, um die Welt in amerikanischem Sinne abzurunden.

Verlässliches gibt es jedenfalls am 11.9.2002 nicht – auch in der IT nicht. Das ist der Stand: Momentaner Renner für IT-Dienstleister ist die EDV-technische Umsetzung von Unternehmensfusionen und -Separationen. Das Schöne daran ist, dass die Entscheidung zu solchen Resortierungen in der Industrie- und Bankenlandschaft auf höchster Ebene getroffen wird. Die Notwendigkeit von IT-Restruk­turierungen folgt wie das Amen in der Kirche. Für den IT-Dienst­leister ist das bequem, er muss sich nicht ständig für revolutionäre Ideen und deren Kosten rechtfertigen, sondern kann immer sagen: „Ihr habt es so gewollt! Wir erledigen allein das, was für euer zukünftiges Arbeiten nun unerlässlich ist.“ Andererseits sind es spannende Projekte, weil sie an Heterogenität und der Auseinandersetzung mit so genannten „gewachsenen Umgebungen“ kaum zu überbieten sind. Grüne Wiese ist doch langweilig!

Wer jedoch Spaß an sehr grünen Wiesen hat, sollte sich mit Websphere Studio Application Developer 4.0 beschäftigen. WebSphere ist eine mystische Quelle des Reichtums für IT-Dienstleister. Einmal durchleuchtet, wandelt sie sich jedoch zur Projektplattform mit dem gleichen Ärgerpotenzial wie jede andere Plattform auch. Es ist allerdings ein Schuss mehr an Arroganz zu entdecken. Aber wer wird Entwicklungsumgebungen kritisieren, die als Lizenz zum Gelddrucken gehandelt werden?

Eine ganz und gar nicht grüne Wiese ist die Website von Lotus. In früheren Jahren waren viele im Herbst schon ganz nervös, weil die Anmeldung zur Lotusphere anstand. Ich sehe der Veranstaltung zumindest buchungstechnisch ganz gelassen entgegen. Denn über die normale Navigation der Site www.lotus.com ist es mir gar nicht gelungen, Informationen über diesen beliebten Event zu erhalten. Die Strukturen der IBM-Websites sind äußerst nebulös. Erst die Suche unter dem Stichwort „Lotusphere“ führt zu einem direkten Link. Angeklickt folgt die Ankündigung des Termins und die Aufforderung an den Interessenten, weitere Entwicklungen im Oktober zu beobachten.

Früher hätte mich so etwas zum Anlegen eines Wiedervorlagedokumentes an jedem Tag im Oktober bewegt. Ich beobachte ohnehin aufmerksam das weltweite Geschehen, daher lässt mich das heute eher kalt. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass man älter wird und cooler mit solchen Highlights des Berufslebens umgehen kann.

Vielleicht liegt es einfach daran, dass man älter wird …

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