Domestizieren der Mail-Welle

Welle_MailsEigentlich ist ein Beitrag zum täglichen E-Mail-Schmerz, wie ihn Stefan Pfeiffer heute gepostet hat, schon länger fällig. Nun will ich wenigstens seinem Aufruf zur Blogparade folgen.

Bei allem Geheule über das Thema E-Mail, wir haben z.Zt. keine echte grundsätzliche Alternative. Die Aussage, dass die Jugend schon kein E-Mail mehr benutzt, weil alles über diverse Instant Messenger läuft, ist nicht auf die Geschäftswelt zu übertragen. Die These, dass man E-Mail komplett durch Sharing-Mechanismen ablösen kann, funktioniert nicht im richtigen Leben, weil nicht in allen Situationen die eine, gemeinsame Plattform existiert, auf der man das tun könnte. Außerdem kann man sich genauso zu Tode sharen wie man sich zu Tode mailen kann.

Ich beneide Leute, die mir irgendein total simples Konzept der persönlichen E-Mail-Vermeidung erläutern. „Ich brauche kein E-Mail! Macht alles mein Spamfilter! Ich habe 472 Regeln, die sortieren das! E-Mail ist out!“ Ist aber alles proprietärer Bullshit und nicht übertragbar. Wenn ich im hohen Alter in Canada vor meiner Waldhütte oder in der Provence in meinem Weinberg sitze, dann brauche ich auch kein E-Mail mehr.

Also geht´s, wie es Stefan Pfeiffer sehr schön gemacht hat, um eine Analyse der Schmerzfelder und dann um das Optimieren des jetztigen Modells.

Die größte Last sind die E-Mails, die ich gar nicht haben will. Der ganze Newsletter-Schrott, den man theoretisch loswerden kann, aber entweder nicht diszipliniert genug tut oder bei dem das Unsubscribe den Benutzer erst recht an die Leimrute liefert. Fast jeder Online-Bestellprozess zieht solch einen Kollateralschaden nach sich. Wer dann noch Amazon auf Facebook liked, dem ist nicht zu helfen.

Ein technologisches Übel ist das Faktum, dass Absenderadressen in unserem E-Mail-Universum beliebig manipuliert werden können. Ich wünsche mir langfristig meinen E-Mail-Empfang auf solche reduzieren zu können, deren Signatur ich explizit traue.

Die große Vielfalt an Social Networking Plattformen bringt – im Detail konfigurierbar, aber doch nicht wirklich domestizierbar – eine gigantische Flut von Notifications. In Teilen sind die Notifications in der Content-Darstellung so unübersichtlich (da gehört leider auch das liebe IBM Connections dazu), dass es ein Horror ist, darin den Sachverhalt zu identifizieren. Es ist auch ein Unsinn, das persönliche Agieren auf eine Sharing-Plattform umzustellen und dadurch tonnenweise Notifications zu erzeugen.

Das von Stefan Pfeiffer beschriebene manuelle Sortieren spare ich mir seit 20 Jahren. Ich habe zwar auch ein paar verwahrloste Ordner, aber das beamtische Sortieren in einer Ordnerstruktur mit Schachtelungstiefen, die rechts aus dem Bildschirm rausrutschen, war nie mein Ding. Die Volltextsuche müsste es hergeben. Was die Notes-Volltextsuche leider nicht tut, zumindest für meinen Anspruch nicht.

Nun zu den Lösungsoptionen. Intelligent filtern. Intelligent Kontext herstellen. Klingt gut, ist aber ein enorm anspruchsvolles Thema. Und der Beweis, ob es funktionieren könnte, ist offen. IBM Mail Next will es können. Microsofts Oslo will es auch können. Wenn wir uns aber doch in den letzten 20 Jahren am Thema Enterprise Search die Zähne ausgebissen haben, wegen Formaten, Zugriffsrechten, Differenzierung von public und privat und ähnlichen Malessen, dann nehmen wir jetzt noch alle öffentlichen Plattformen dazu und das Ganze cross-enterprise und plötzlich funktioniert das. Onkel Watson wird´s richten. Und das sind nur die technischen Probleme.

Natürlich stellt Google unter Beweis, dass sehr viel gefunden werden kann. Aber unsere Erwartungshaltung bei Google ist nie, dass alles gefunden wird, dass das Richtige gefunden wird, dass man sich darauf verlassen kann. Es ist ein Vorschlag, ein Angebot, aber nicht mehr. Im einem Mail-Next liegt die Messlatte höher als bei einer Google Search.

Abschließend noch zu Stefan Pfeiffers 10 Paradigmen:

  1. Mail als System of Engagement – Nehm ich auf in meine Buzzwordliste, klingt gut
  2. Additiv Social Software, Instant Messaging, Audio und Video – Mit geeigneter Visualisierung natürlich ja.
  3. Embedded Experience – Lass uns mal mit einem tauglichen File Format Viewer anfangen, aber im Prinzip natürlich ja.
  4. „Automatisch rechtssicher ablegen“ – klingt auch gut. Wenn ich dann schreibe: „Bursche, wir haben noch eine Rechnung offen!“ , dann wird das wegen des Begriffes „Rechnung“ rechtssicher abgelegt.
  5. Manuelle Ordnersysteme sind out – waren für mich noch nie in
  6. Automatische Kontexteinblendung – natürlich ja, wird aber in den Anfängen zu ähnlichen Schoten führen wie Google Translate und birgt die Gefahr des Abschweifens von einem Kontext zum nächsten. Thema: Arbeitsdisziplin
  7. Kognitive Systeme im Backend, die uns zum Glück die persönliche Entscheidung nicht abnehmen – ich lasse mich überraschen
  8. Auf allen Mobile Devices – na klar
  9. Mobile Nutzergewohnheiten führen auch zur Verbesserung der klassischen E-Mail-Clients – da frage ich mich, warum erst ein Mobile Device um die Ecke kommen muss, damit klassische Clients besser werden.
  10. Eigenes Verhalten und Arbeiten verbessern – da kann ja jeder persönlich dran arbeiten. Wer kreatives Chaos braucht, wird das auch in Zukunft haben können. Die Alles-mit-allem-Vernetzung wird noch häufiger dazu führen, dass man sich gelegentlich fragt, was man eigentlich tun wollte als man vor einer Stunde auf den ersten Link geklickt hat.

Nun wirklich abschließend: Ich will nicht hoffen, dass die großen Hersteller, nur weil sie die alten Probleme nicht lösen konnten, einfach mal neue Ziele ausrufen.

Aber alles wird gut.

Oslo – User Experience 2014, designed by Microsoft

Nochmal 682Es wird sicherlich noch bessere Bilder geben. Mit dem iPhone in der 5. Reihe mit tiefgefrorenen Händen lassen sich keine Wunder der Fotografie vollbringen. Sicherlich ein Highlight auf der SPC2014 ist die Präsentation der User Experience unter dem Codename Oslo. Deshalb Oslo, weil es in den dortigen Labors von Microsoft entwickelt wurde. Oslo sieht toll aus. Muss man so sagen. Erfrischend, modern, trotzdem sehr funktional. Oslo stellt dar, was für den individuellen Benutzer in der Dokumentenwelt wichtig ist. Sehr bildorientiert, ein bisschen wie Google+, nach diversen Kriterien filterbar. Die Daten kommen bisher aus SharePoint, OneDrive, Yammer. Es sind aber APIs angekündigt, die Oslo beliebig erweiterbar machen. Im Unterschied zu IBM Mail Next, was ja auch eine neue User Experience bietet, ist Oslo sehr dokumentenzentriert und hat, soweit bisher gesehen, mit Email nicht viel zu tun. Ausgenommen Attachments in Emails. Verfügbarkeit ist für das 2.Halbjahr 2014 angekündigt. Für’s Erste alles nur in der Cloud.
Der Hintergrundmechnismus heißt Office Graph. Office Graph zeichnet sogenannte Signals auf, wenn irgendein Dokument auf den überwachten Storage Medien erstellt, editiert, geshared, geliked oder sonstwie angefasst wird. Es gibt public und private Signals, um in der Darstellung differenzieren zu können. Office Graph kennt auch die Teamzusammenhänge und Reporting Lines und bezieht diese in die Auswertung ein.
Der visuelle Innovationsgrad ist ein gewaltiger Schritt. Weg von den Listen, Foldern und anderen klassischen Navigationen, hin zu intuitiver Bearbeitung. Der Spagat zu Outlook und SharePoint ist ähnlich groß und anspruchsvoll, wie der Spagat von IBM Mail Next zu Notes und Connections Files oder Libraries.
Ins Wackeln kommen beide User Experience Modelle, wenn es um Cross-Organisation-Darstellung geht. Da werden die Arme ganz kurz.
Ob der dokumentenzentrierte Ansatz oder der Email-zentrierte Ansatz der Bessere ist, darüber muss man diskutieren. Ich vermute aber, dass sich jeder am Ansatz des Herstellers seiner Wahl orientiert und so die Diskussion gar nicht entsteht.