Aus einer anderen Welt

In meinem Informatikerleben bin ich mit einer Vielzahl von  IT-Systemen konfrontiert worden. Es fing groß an mit Lochkarten und BS2000, es ging weiter mit VM/370 und PDP-11. Dann kam die Zeit der Ataris und Commodores und der TI 99/4A. Mit CP/M und DOS landeten wir in der PC Welt.  Mit Apple Lisa startete das Zeitalter der  Graphical User Interfaces. Heute gehe ich virtuos mit Windows 7 oder Mac OS um. Manche Mitarbeiter und meine Kinder bezweifeln das mit dem virtuos manchmal, aber sei´s drum.

Bis Dezember 2010 machte ich allerdings um den Olymp der IT-Kunst immer einen großen Bogen. War es Angst, übermäßiger Respekt, das Wissen um die Limitierung meiner intellektuellen Möglichkeiten oder einfach nur Schicksal. Der Olymp blieb immer in der Ferne, eine Näherung vielleicht über Connectoren oder im ehrfurchtsvollen Gespräch am Stammtisch. Erst ab dem dritten Rotwein, wagte ich den Namen des Olymps in den Mund zu nehmen. Technologisch blieben all meine Desktop-Rechner und Notebooks über die Jahre aber frei von Installationen dieser mystischen Krönung der IT. Nun habe ich aber endlich die Himmelspforte geöffnet. Aber welche? Nicht Lotus Connections Ultimate Release, nicht Lotus Notes 10.0, nicht Facebook 3D, nicht Windows Beyond und nicht SharePoint Katar.

Es ist das SAP GUI: ein Wahnsinn. Ich habe es ehrfürchtig in eine VMware gebettet. Der Juwel der GUIs soll nicht durch das niedere Volk der IT-Software belästigt werden. Wie es sich für die Krönung gehört, war der Weg mit kleineren Hürden gespickt. Zuerst Firewall-Restriktionen, dann eine untaugliche ID, dann eine abgelaufene ID, dann eine ID mit zu wenig Rechten, dann gibt es den Server nicht mehr. Mein vollstes Verständnis. Es muss eine Selektion der Pilger auf den Olymp stattfinden. SAP GUI ist nicht für das gemeine Volk geschaffen. Wo kämen wir hin, wenn jeder durch Berührung eines Touch-Screens mit seinem schmutzigen Finger in das System käme.

Nun bin ich endlich drin. Ich bin fasziniert vom ersten intuitionsfreien GUI in meinem User-Dasein. Vorbei dieses Anbiedern an den Consumer das Apple und Microsoft unter dem Stichwort „Usability“ bis zum Erbrechen praktizieren. Selbst IBM versucht ja schon diesen Pfad des tumben Volkes einzuschlagen, wo IBM doch eigentlich zu Höherem geboren ist.

Stattdessen erhalte ich den Geheimtipp vom Kunden: „Geben Sie ‘se37‘ ein!“. Das ist doch mal ein Wort. Endlich wieder Herrschaftswissen. Meine Kinder und diese jungdynamischen Mitarbeiter haben glücklicherweise keine Ahnung von diesem Tipp. Haha, der Alte weiß was, was ihr nicht wisst.  Selbst wenn sie´s wüssten, es würde nichts nutzen.  Die Benutzeroberfläche gibt keine Geheimnisse preis. Kein Wissen aus der Welt der „Doofen“ funktioniert. Ist das ein Link? Natürlich nicht! Sinnfreie Symbolik schützt die geheimnisvollen Datenbestände. Kurze Wege mit der Maus sind out. Ohne Fleiß kein Preis. Jegliches bekannte Wording aus der IT-Welt der Normalos ist hinfällig. Stattdessen regieren Infotypen.

Manchmal wache ich nachts schweißgebadet auf. Im Albtraum war ich wieder beim SAP-GUI-Logon gescheitert. Dann schleiche ich in die Küche, schalte den Notebook an und tippe im Licht der Maglite die Logon-Daten ein. Wenn es geklappt hat, schleiche ich mit einem nächtlichen Lächeln auf den Lippen wieder ins Bett und schlafe selig weiter. Wehe es klappt mal nicht, dann melde ich mich zurück bei den Irdischen und beschäftige mich wieder mit Social Media und iPhone Apps.

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