Grenzen der Intelligenz

Dass IT-Lösungen Stilblüten produzieren, ist eigentlich ein alter Hut. Manche sind nur witzig, manche sind ärgerlich. In der Regel entstehen sie durch den fälschlichen Glauben, dass Computer an sich intelligent seien. Aus gegebenem Anlass möchte ich zwei Beispiele schildern.

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Dass bei der Erstellung eines E-Mail-Accounts bei einem öffentlichen Provider wie GMX oder web.de die persönlichen Angaben auf das Allernotwendigste reduziert sein sollten, um dem Zielgruppen-Marketing so wenig Anhaltspunkte wie möglich zu geben, weiß jedes Kind. Wer beispielsweise im ICQ seinen echten Namen, sein Geschlecht und sein Alter angibt, ist selbst schuld. Gezielte Irreführung ist hier geradezu legitim. Unsere Auszubildende, die gelegentlich ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Endlich 18“ trägt, hat eine web.de-Mailbox. Das Geburtsdatum in ihrem Profil hat sie offenbar in das Jahr 1912 verlegt. Nun erhielt sie einen Glückwunsch zum 93. Geburtstag mit dem Gratis-Angebot für drei Monate web.de-Club einschließlich Virenschutz, Spamschutz und XXL-Onlinespeicher. Man kann web.de immerhin zugute halten, dass hier der Mensch in der zweiten Lebenshälfte nicht ausgegrenzt wird. Na denn, viel Spaß! Ob der Spamschutz auch vor web.de selbst schützt, bleibt offen. Zu prüfen bleibt, ob möglicherweise auch zum 150. Geburtstag gratuliert wird.

Eher ärgerlich sind begrenzt intelligente IT-Implementierungen bei Behörden oder Krankenkassen. Auf Grund etwas ungünstiger gesetzlicher Regelungen sind meine drei Kinder freiwillig bei der AOK versichert. In regelmäßigen Abständen erhalten sie die Aufforderung, ihre Einkommensverhältnisse nachzuweisen. Auch 12-Jährige bleiben hiervon nicht verschont. Die Briefe sind klar und ausschließlich an die Kinder adressiert – ohne Rücksicht auf deren Alter oder Geschäftsfähigkeit. Auch im Anschreiben selbst steht kein Hinweis auf Erziehungsberechtigte. Ob solche Briefe auch an Dreijährige gehen, entzieht sich meiner Kenntnis. Welche juristischen Konsequenzen das einfache Wegwerfen dieser Briefe hätte, weiß ich nicht. Ist es denn so schwierig, in ein Programm, das Anschreiben an Millionen Menschen generiert, die Abfrage „If Alter<16“ oder etwas in der Art einzufügen und sich eine juristisch schlüssige Strategie zu überlegen, wie man die erwünschten Angaben erhalten kann?

Für ein anderes Thema bin ich vermutlich nicht intelligent genug, um es zu verstehen. Vielleicht erschließt es sich mir auch noch nicht, dass Spam und Viren im Kern ein eigener Industriezweig sind, der gepflegt werden muss. Der Umgang mit den Verursachern von Spam und Viren ist jedenfalls aus meiner Sicht halbherzig, das Gejammer vollmundig. Hinter jedem Viagra- und jedem Hypothekenangebot – zu 99 Prozent aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten – steckt irgend jemand, der damit Geld machen will und somit auch ermittelbar ist. Auch ist mir unklar, warum eine Internet-Domäne postbank-de.com überhaupt zugelassen wird und über einen längeren Zeitraum kriminelle E-Mails mit Link auf diese Website und der Aufforderung, Postbank-TANs einzugeben, versendet werden können. Dass diese E-Mails in miserablem Deutsch verfasst sind, macht den Vorgang nur noch absurder. Mein schlauer Kollege fragt mich allerdings: Wie soll ein deutscher Beamter eine scheinbar amerikanische Firma mit weißrussischem Geschäftsführer, die auf den Cayman Islands oder in einem anderen Krokodiltümpel ihr trübes Gewerbe angemeldet hat und den Webserver für 48 Stunden bei einem chinesischen Provider in der Mongolei betreibt, in ihrem Tun einschränken?

Da öffnen wir doch lieber ein kühles Helles oder einen wohltemperierten Roten und lassen die Welt des Internets ihren Gang gehen.

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