Mentale Entspannungsübungen

Wir Menschen in der IT-Branche sind immer im Stress. Der kontinuierliche Drang nach Optimierung macht die ITler ruhelos und droht, den persönlichen Horizont zu begrenzen. Er bestimmt die Hatz nach schneller, besser und leider auch nach billiger – letzteres unterscheidet uns von den Olympioniken. Manchen gelingt es, in privater Initiative der 24-Stunden-Optimierungsspirale zu entrinnen, andere benötigen die Hilfe ihrer Vorgesetzten oder spezialisierter Anbieter.

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Viele Arbeitgeber sorgen mit finanzieller Aufopferung für die geistige Entspannung ihrer Mitarbeiter. Da Chefs aber selbst oft derart gestresst sind, dass ihnen keine taugliche Idee zur Mitarbeitermotivation einfällt, bedienen sie sich einer professionellen Event-Agentur. Deren Aufgabe ist es, Vergnügungen für Erwachsene business-gerecht zu inszenieren. So werden Seifenkistenrennen und Floßfahrten durchgeführt, Zelte gebaut, Go-Kart gefahren, konfliktträchtige Teams durch Wälder gejagt, Teststrecken von Automobilherstellern umrundet und sonstige Abenteuer bestanden. Familienväter oder -mütter haben gelegentlich den Eindruck, die eine oder andere Veranstaltung sei besser für ihre Kinder geeignet. Da aber manches Spektakel für den privaten Geldbeutel nicht finanzierbar ist, nehmen die Erwachsenen diese Erfahrungen mit. Leider entwickelt sich nicht immer ein Schub für Motivation und Team-Arbeit. Nicht alle sind zu jedem inszenierten Spaß bereit und manche Incentives degradieren Mitarbeiter zum Objekt. Dennoch lebt die Event-Branche gut von mentalen Entspannungsübungen für gestresste Mitarbeiter und der Arbeitgeber wäscht sein Gewissen rein.

Auch auf der letzten DNUG-Konferenz in Mannheim war nicht nur Ernst, sondern auch Spaß angesagt. Mentale Entspannungsübungen in persona bot Professor Gunter Dueck. IBM ist groß genug, um sich nicht ausschließlich externer Event-Agenturen bedienen zu müssen. Das Unternehmen leistet sich eine eigene Academy of Technology, eine Querdenkerinstitution.

Professor Dueck ist deren Mitglied. Er ist ein beeindruckender und kompetenter Mensch, der den modernen Hofnarren verkörpert. Und Hofnarren dürfen ihre Herren ungestraft verspotten. Sicherlich in Grenzen. Professor Dueck ist sich dessen vermutlich bewusst. Aber er besitzt die Freiheit, über die unsinnigen Denkstrukturen seiner Chefs zu lästern und die Absurdität vieler Entscheidungsprozesse innerhalb des Unternehmens zu beschreiben. Als autorisierter Hofnarr darf er vor Hunderten von Zuschauern öffentlich aus seiner dienstlichen Erfahrungswelt berichten. Details und Namen werden selbstverständlich nicht erwähnt. Die wissenschaftliche Relevanz seiner Thesen sollte sicherlich nicht in den Hintergrund treten. Es ist aber anzunehmen, dass die zahlreichen Besucher seinen Vortrag nicht aus primär wissenschaftlichem Interesse gefolgt sind. Sie hatten Freude an einem mentalen Ausflug jenseits von ROI- und Business-Case-Berechnungen und an dem erfrischenden Spott über das gehobene Management.

Ein Stilelement von Professor Dueck ist das kurze Erwähnen von Paradigmen, Thesen und Fakten, kombiniert mit dem Halbsatz „Sie verstehen schon“. Alle schmunzeln oder lachen gar. Doch „verstehen“ ist – glaube ich – etwas anderes. Der wissenschaftliche Diskurs war aber auch nicht Hauptzweck des Vortrages. Nach dem Vortrag mussten wir uns wieder harten Themen, wie dem nächsten Geschäftsabschluss oder der nächsten Prozessoptimierung widmen und Professor Dueck entschwand zu seinen nächsten Auftritten in anderen Arenen. Was bleibt, ist der Eindruck von „panem et circenses“. Dennoch motivieren Brot und Spiele etwas mehr als Brot und Wasser. Also warten wir auf die nächste dargebotene Entspannungsübung.

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