Die Wüste lebt

Kürzlich traf ich einen ehemaligen Kollegen auf einer der rauschenden Geschäftspartys, die uns die Sommermonate versüßen. Aus heiterem Himmel fragte er mich, ob die Geschäfte immer noch so schlecht laufen, wie in meinen Glossen dargestellt. Ich war etwas erschrocken über seine Interpretation, da ich doch lediglich auf klitzekleine Optimierungspotenziale in unserem nahezu perfekten Geschäftsleben hinweise. Sei´s drum. Jetzt habe ich eine echte Erfolgsmeldung auf Lager.

5_2004

Im Vorfeld der Fußball-Europameisterschaft haben wir intern mehrmals erwogen, einen holistic-net-EM-Tipp im Internet zu anzubieten. Die EM kam näher, doch nichts war passiert. Kein Problem, denn wir haben ja unsere Ratz-Fatz, Quick-and-Dirty-, Rapid-Application-Development-Umgebung Lotus Notes. Damit kann auch ein Geschäftsführer wenige Stunden vor dem ersten Anpfiff höchstpersönlich in die Entwicklungstasten greifen und schnell eine EM-Tipp-Website gestalten. Mit marginaler Unterstützung von fünf Mitarbeitern ist die Anwendung auch ruckzuck im Internet. Und nun das kleine Wunder: Am Freitag, 15.00 Uhr, erhalten rund 80 Kunden, Geschäftspartner und private Bekannte von uns eine e-Mail mit der Bitte um Tipps für alle Spiele der Vorrunde. Und siehe da: Innerhalb von nur zwei Stunden tragen 60 Teilnehmer auf unserer Website ihre Prognosen ein. Die Wüste lebt!

Erfreulicherweise schickt kein Spam-Filter meine Mails in den Orkus. Denn selbst Ansprechpartner, die ich seit Monaten nicht erreiche, geben innerhalb von zehn Minuten ihren Tipp ab. Andere rufen voller Panik an. Sie haben meine Mail auf dem PDA empfangen, derzeit aber keinen Zugriff auf das Internet, da gerade im Auto unterwegs. Wichtig für sie war, wie lange sie noch mitmachen könnten. Fast hätten wir einen Krisenstab einberufen, um eine kurzfristige Erhöhung unserer Bandbreite zu organisieren.

Bei den weiteren Spielrunden wiederholt sich dieses beeindruckende Schauspiel in fast ungebrochener Zuverlässigkeit. Ich bin völlig begeistert. Sogar Kunden, die sich durch ihre Vorzimmerdame über Monate verleugnen lassen, rufen höchstpersönlich bei mir an und lassen sich das Regelwerk meiner Punktevergabe erläutern.

Diese überwältigende Rücklaufquote hatten wir bei früheren Mailings nicht. Beispielsweise habe ich zur Vorbereitung eines Vortrags auf der letzten DNUG die rein fachliche Bitte geäußert, einen kurzen Fragebogen auszufüllen. Der Verteiler war dem zur EM ähnlich. Dennoch sind wir auf sage und schreibe drei Rückläufer gekommen. Zurück auf den Boden!

Was lernen wir daraus? Der Kick – im wahrsten Sinne des Wortes – liegt im Inhalt. Das Stichwort „Fußball-EM“ ist gemäß meiner oberflächlichen Statistik um den Faktor 20 wichtiger bzw. reizvoller als das Stichwort „ITIL“. Bieten Sie die richtigen Themen an, und alle kommen aus ihren Gefrierfächern geschossen. Wir benötigen thematische Befreiungsschläge. Weg von CRM und SCM, weg von all dem Ärger mit Viren, Spam und anderem drögen Ballast.

Manko der Erfolgsstory: Der Business Case fehlt. Die Aktion EM-Tipp war zwar preiswert. Da der Rechtsweg ausgeschlossen ist, halten wir auch die Preisverleihung für den Sieger im Griff. Aber auf der Einnahmeseite steht außer Freude nichts.

Ich muss noch mal in mich gehen und darüber nachdenken, wie diese Erfahrung für ein tragfähiges Geschäftsmodell verwertet werden kann. In der Zwischenzeit arbeiten wir weiter an unserem Image. Spätestens zur Fußball-WM 2006 rufen wir uns bei allen Geschäftspartnern mit einem Aufsehen erregenden Mailing wieder in Erinnerung. Unsere Auszubildende arbeitet bereits am Aufbohren der Applikation auf 32 Mannschaften.

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