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Und wieder rüttelt IBM mit lautem Getöse an den Türen der schläfrigen IT-Abteilungen. Aufwachen! „Lotus Workplace“ lautet die neue Losung. Vor einem Jahr sollte jede Anwendung auf Websphere Application Server portiert werden, die nicht schnell genug mit der weißen Fahne der definitiven Web-Unfähigkeit beflaggt werden konnte. Das ganze Jahr 2003 über galt der Websphere Portal Server als Renner. Versprach er doch, mit magischer Wirkungskraft alle bestehenden Anwendungen unter einem schützenden Dach zu ver­einen.

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Irgendwann stellte sich bei allen Entscheidern wieder die entspannte Phase der Konsumverweigerung ein. Weder der Websphere Appli­cation Server noch der Websphere Portal Server werden so „schnell gegessen wie gekocht“. Die Praxis zeigt, dass die Server nicht mal so eben eingesetzt werden, wie sie auf den Markt kommen. Nebenbei gesagt, die Kosten für diese „Gerichte“ liegen eher in der Kategorie „5 Kochmützen“ als „Döner um die Ecke“.

Zusätzlich gibt es im IBM-Schnellrestaurant inzwischen diverse „Express“-Menüs. Es ist nicht einfach, den Unterschied zwischen Express- und 5-Gänge-Menü zu erkennen. Aber die Branche ist gewohnt, dass IBM in der Lizenzierung und deren juristischer Auslegung stark auf den akademischen Bildungsgrad beim Kunden setzt. Es soll weltweit Stammtische geben, die sich ausschließlich mit der Interpretation der IBM-Lizenzierung beschäftigen.

Die neue Parole des Herstellers heißt also Lotus Workplace. In der dritten Welle wird Java-Technologie mit Vehemenz ins Feld getrieben. Der alte Lotus-Freund reibt sich die Äuglein und sucht nach dem technologischen Zusammenhang zwischen dem über Jahre lieb gewonnenen Notes und dem neuen Angebot. Die IBM-Marketing-Strategen kommunizieren verdächtigerweise den Begriff „Mi­grations­wege“ und sprechen nicht von einem Update. Daher weiß der Profi schnell, dass es sich nicht um Notes 7.0 unter neuem Namen handeln kann. Vielmehr erkennt er, dass IBM ein bisher diffuses, dennoch visi­­onäres Bild konkretisiert, auf dem sich noch im letzten Jahr zwei auf­einander zulaufende Straßen vor einem nebulösen Horizont verloren.

Der echte Lotus-Fan empfindet den Vorgang aufgrund der Namensgebung als Blasphemie. Warum wird dem guten Produkt Lotus Notes ein Lotus Workplace vor die Nase gesetzt? Entspricht der Reifegrad schon dem eines legitimen Notes-Nachfolgers? Die Optik vermittelt den Eindruck, die Technik aber muss auf den Prüfstand. Vermutlich ist es das Recht von IBM, seine Brands so zu benutzen, wie es ins Marketingkonzept passt.

Diese Entwicklung wirft die Frage neu auf, wie hoch der erforder­liche Prozentsatz an Java-Entwicklern in der Belegschaft sein sollte. Muss von jetzt an der Pförtner Java beherrschen? Wird die Putzfrau auch ohne Java-Kenntnisse durchs berufliche Leben kommen? Müssen Top-Manager ohne Java-Zerti­fizierung gar um ihren Job bangen? Irgendwo war sogar zu hören, dass Java nicht nur eine spezielle Syntax ist, sondern gar eine Architektur. Welche Rolle wird Java in der siechenden Bauindustrie spielen? Manager sollten darüber nachdenken, Java-Kurse für gehobenes Personal auf der gleichnamigen Insel abzuhalten. Das gibt der Panik – auch um den eigenen Arbeitsplatz – wenigstens eine erfreuliche Perspektive. Entsprechende Schulungsangebote in Südostasien sind mir bislang nicht bekannt. Eine Marktlücke? Sicherlich lernt es sich in einer ansprechenden Umgebung besser. Mein Slogan-Vorschlag für das indonesische Tourismusministerium: „Learning native Java!“

Die Zukunft wird zeigen, wohin sich die ewige Gratwanderung zwischen „technology push“ und „user pull“ bewegen wird. Ich bin gespannt, ob und wie schnell die Scharen zu Lotus Workplace überlaufen. Logisch ist die Entwicklungsstrategie von IBM allemal. Ob sie sich zeitnah verkaufen lässt, entscheidet der Markt.

Nachtrag, November 2008: Wie wir inzwischen alle wissen, ließ sich die Lotus Workplace Technologie nicht zeitnah verkaufen und wurde klammheimlich wieder eingestampft.

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