Das Ende der IBM Collaboration Software

Erinnerung aus 2016

Als die IBM die Entwicklung von Notes vor über einen Jahr zur indischen Firma HCL verschoben hat, wollte ich bereits einen Blogeintrag, geschmückt mit einem Bild von abgefrackten Schiffen in den Gewässern vor Mumbai, zu diesem Thema schreiben. Mit Blick auf viele über die Jahre liebgewonnene IBM-Freunde hab ich mir damals den Blogeintrag verkniffen.

Nun, ein gutes Jahr später, ist es aber doch Zeit auf dieses Kapitel einen Deckel zu machen.

Die subjektive Historie
Notes war der gelbe Faden durch fast mein gesamtes Berufsleben. Als Groupware-Erläuterer begann ich mein Berufsleben. Die Kurve der Erfolge im Notes Business ging kontinuierlich nach oben. Durch den Aufkauf von Lotus bzw. Iris durch die IBM traten wir in den Club der IBM Business Partner ein. In den Jahren 2000 und 2001 vor den Lotuspheres mit mehr als 10.000 Teilnehmern musste man befürchten, dass man Orlando verpasst, wenn man nicht in den ersten Stunden der Registration seine Anmeldung unter Dach und Fach gebracht hat. Notes war top. Microsoft war weit entfernt. Es war mehr als nur ein schnödes „Ich-programmiere-irgendetwas“, „Ich-liefere-Services-für-irgendetwas“,, „Ich-verkaufe-irgendetwas“. Es war Kult.

Lange haben wir – und damit meine ich die gesamte Notes Community – die Fahne mit Stolz hochgehalten. Irgendwann begann aber ein leichtes Murren in der Fanszene, weil IBM technologisch nicht mehr genug investierte. Es gabe erste Migrationsprojekte. In teils hitzigen Diskussionen auf IBM Veranstaltungen wurde ich der Nestbeschmutzung beschimpft, da wir in erste Migrationsprojekten „Notes/Domino -> Outlook/Exchange“ involviert waren. Loyalität war großgeschrieben, auch wenn einige Lotis schon vor Jahren plötzlich auf der Microsoft Payroll auftauchten.

Die Marktanteile von Notes nahmen kontinuierlich ab, auch wenn das Marketing immer noch Zahlen mit Double-Digit-Growth präsentierte. Das können die immer. Es ist nur eine Frage des kreativen Umgangs mit Zahlen. Es fehlte die Glaubwürdigkeit. IBM zeigte wenig technologischen Willen dem entgegen zu steuern. Stagnation war angesagt. Die Loyalität stark strapaziert.

Mit IBM Connections wurde parallel dazu ein neues Thema aufgerufen. Viele Notes Business Partner stürzten sich darauf. Social Collaboration made by IBM. Auch wir engagierten uns brav, aber auch interessiert. Herausforderung waren und sind, das etwas verquarzte Backend, das sich völlig anders gebärdet als die pflegeleichte Domino-Infrastruktur, und Social Collaboration ist eben nicht nur IT, sondern muss ganz andere Strukturen in Unternehmen in Bewegung bringen. Da kann der pure IT-ler schon mal an seine Grenzen kommen.

… und nun: alles verkauft. Nach Indien.

Die Perspektiven
Ich finde es schon bewunderswert, wie manche Kollegen nun in das Horn der explosiven Innovation durch HCL stoßen. Ich betrachte das mit neutraler Skepsis. Unsere laufenden Migrationsprojekte hat Domino 10 nicht ins Wanken gebracht. Der Zug fährt zügig weiter in Richtung Outlook/Exchange bzw. Office365. Dass eine fette Notes Applikationslandschaft dabei als bulky luggage stehen bleibt, ist Fakt.

Der Verweis auf die tollen IBM-Entwickler, die ja alle zu HCL rübergehen, dort nun die Budgets bekommen, die IBM nicht mehr bereit war zu investieren, auch da bin ich skeptisch. Maureen Leland postete: „Third time bought and sold is the charm ;-)“. Ich habe keine Ahnung von den HCL-Strukturen im Detail, und sicherlich werden nicht 1000 IBM-Entwickler von Maine nach Indien umgesiedelt. Gerüchteweise habe ich auch gehört, dass Gehälter in Indien unter den amerikansichen Gehältern liegen. By-the-way – hat sich Donald Trump schon zu dem Deal geäußert? Ich bin durchaus froh, nicht in einem Unternehmen zu arbeiten, in dem tausende Mitarbeiter per Deal den Besitzer wechseln.

Was HCL nun wirklich mit den Produkten macht, bleibt abzuwarten. Wenn´s was Tolles wird, guck ich mir das an. Aber sicher nicht auf der frühreren Basis einer Zugehörigkeit zu einer Fanszene. Unsere Kooperation mit indischen Unternehmen war in der Vergangenheit auch begrenzt positiv. Andere Kultur, schwierig den Verbindlichkeitsgrad von Vereinbarungen richtig einzuschätzen. Interessanterweise sind wir schon über Ecken mit HCL in Kontakt: Es geht um eine Migration Notes –> O365.

Verstehen tue ich ehrlich gesagt nicht das Domino 10/Domino Forever Brimborium, dass die IBM unter enthusiastischen Kommentaren kürzlich noch in Frankfurt gefeiert hat. War da noch ein letzter Betrag in der Kasse, den niemand anders zu verbrauchen wußte?

Ob es für IBM der richtige Schritt war? Keine Ahnung. Ich bin kein globaler Wirtschaftsstratege. Ich maße mir nicht an, Ginni Romettis Schachzüge zu kommentieren. Welches Geld da in welcher Richtung den Besitzer wechselt, keine Ahnung. Sind die Produkte 1,8 Milliarden wert? Auch keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, ob Red Hat 34 Miliarden wert ist.

Es bleibt abzuwarten, ob HCL den deutschen Markt mit den wenigen verbliebenen großen Notes-Installation und den großen Connections-Installationen halten oder gar ausbauen kann. Schließlich basierten diese Geschäfte auch auf einer über Dekaden gepflegten Partnerschaft zu IBM. Ob dem HCL-Vertrieb die Türen offen stehen oder ob die Ex-IBMer mit neuem Hut um die Ecke kommen? Wer weiß!

3 Gedanken zu „Das Ende der IBM Collaboration Software

  1. Bemerkenswerter und überaus lebenswerter Kommentar. Ich sehe für mich gerade an einer Stelle eine große Parallele. Man hat probiert mir einen #Maulkorb zu verpassen, seitens einer Marketingleitung, die für die Vermarktung von IBM #Collaboration Produkten verantwortlich ist/war.

    Das Ergebnis ist heute hinlänglich bekannt. Wir sind als Fachverband für Social Media i.G mit unserer Fachgruppe Enterprise 2.0 als Deutschlands erster Verband, Beta-Tester von Workplace by Facebook, und haben diese Entscheidung nach dem Ableben von Jürgen Zirke (damaliger CEO von agentbase AG) nicht bereut.

    Gott habe Jürgen sellig.

  2. Uns hindert ja niemand daran zu beobachten, was HCL jetzt aus den Produkten macht. Und wenn es sensationell gut wird, dann ist es vermutlich allen Kunden erlaubt mitzumachen. Aber der gelbe Faden ist trotzdem gerissen. Es geht ja nicht nur um Technik. Es geht um Vertrauen zu Personen, Erwartungshaltungen, etablierte Netzwerke. Das fällt nicht vom „indischen“ Himmel. Bestimmte Faktoren sind nicht so einfach mit einem „Deal“ woanders hinzuschieben. Der Ball liegt bei HCL. Versäumtes aufholen, Kunden überzeugen, Märkte halten oder ausbauen. Ich bin da inzwischen als Provider ein bisschen oportunistisch. Von Loyalität allein können wir keine Mitarbeiter bezahlen.
    (gleiches auf LinkedIn auf Harald Schirmers Post)

  3. Das ist sehr schön und mir voll aus dem Herzen geschrieben.
    Dazu ist es auch bemerkenswert, dass IBM – während der Übergangsphase – mal einfach erste Apps im Connections Kontext (IBM Editor) abkündigt und die zukünftige Strategie . Selbst als treuer Kunde der Produkte sollte man spätestens jetzt nachdenken, ob man mit den (noch IBM demnächst HCL) Kollaborationsprodukten zukunftsfähig aufgestellt ist. Dazu kommt, dass noch keiner sagen kann, wie sich Lizenzierung und Kosten entwickeln werden.
    Für uns – wo wir gerade die Nutzung einer solchen Infrastruktur deutlich ausbauen wollen – kommt dieses Vakuum auf jeden Fall zu Unzeit.

    Noch mal Danke für diese Artikel!

Schreibe einen Kommentar zu Sebastian Neumann Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Human or Computer? *